Erst im zweiten U23-Jahr, kämpft er schon um einen Platz in der deutschen A-Nationalmannschaft. Selbst Olympia 2024 in Paris ist nicht unrealistisch. Auch Trainer Karsten Timm traut „Olli“ eine große Zukunft zu. Karin Schmidt (70) sucht am Bundesstützpunkt Rudern in Kessin regelmäßig die physiotherapeutische Praxis auf, und wenn man sich da über den Weg läuft, muss Zeit sein für ein Schwätzchen. „Die Sportler von heute sind zu weich“, stellt sie dann schon mal fest – als langjährige Rostocker Shorttrack-Trainerin, die Olympia-Teilnehmer am Fließband „produzierte“, weiß sie, wovon sie spricht. Der bei diesem Plausch anwesende Oliver Holtz ist zwar ein „Sportler von heute“ – ihn kann Karin Schmidt allerdings nicht meinen. Von dem 19-Jährigen sagt der hiesige Bundestrainer Karsten Timm, er sei „ausdauermäßig einfach ein Tier“. Und auf direkte Nachfrage wird er auch noch deutlicher: „Ja, er ist derzeit das größte Talent, das wir in Rostock auf dem Hof haben, das würde ich schon behaupten.“ Der Skuller mit erklärter Vorliebe für den Einer („Ich würde am liebsten immer das kleinste Boot fahren wollen“) ist amtierender U23-Vize-Weltmeister mit dem deutschen Doppelvierer und mittlerweile sogar Kandidat für die Olympischen Spiele 2024 in Paris.
Karsten Timm: „Es ist ja nicht so, dass man sagen müsste, so ein Jungscher im zweiten U23-Jahr muss das jetzt auf jeden Fall schaffen. Physisch und ruderisch ist es auf jeden Fall nicht unrealistisch, wird aber schwer. Die Frage ist, wie er es Einer-mäßig hinkriegt und ob er da weit genug vorne ist. Olli wird von uns jedenfalls nicht unter Druck gesetzt.“
Zur Person: Oliver Holtz… wurde am 13. Juli 2003 in Rostock geboren. Der 19-Jährige absolviert gerade einen Trainingslager-Marathon Portugal – Spanien – Italien: Auf Lago Azul mit dem A-Team (31. Januar bis 5. Februar) folgte das U23-Camp in Mequinenza (18. Februar bis 4. März), dem sich nun von Sonnabend bis zum 25. März die Maßnahme des hiesigen Bundesstützpunktes in Orta San Giulio anschließt. Olli, der für den Rostocker Ruder-Club startet, macht die viele Reiserei nichts aus: „Es ist ja nicht so eine Riesenzeit. Ist doch schön, auch mal zwei Wochen weg zu sein, fast wie ein kleiner Urlaub. Vor allem aber fahren wir ja dahin, weil in dieser Jahreszeit dort die Trainingsbedingungen besser sind.“ Jetzt am Lago d’Orta kommt hinzu, dass auch Olivers Freundin Lena Gresens – die beim RC Potsdam ebenfalls rudert, u. a. 2021 in Plowdiw Junioren-WM-Bronze im „Zweier ohne“ erkämpfte – mit von der Partie ist.
Der Athlet selbst nimmt erst mal erfreut seine Auszeichnung als Dritter der NNN.Sportlerwahl 2022 entgegen und verweist zum Thema Saisonziel auf die U23-Weltmeisterschaften vom 19. bis 23. Juli in Plowdiw – wo er 2021 bei den Junioren eine Medaille im Einer nur knapp verpasste. Also, es würde ihn schon gelüsten, gerade deshalb nach Bulgarien quasi „zurückzukehren“.
Doch es gibt natürlich auch andere Prioritäten: „Die A-Nationalmannschaft hat den höheren Stellenwert. Wenn man die Chance hat, da reinzukommen und auch Erfolg zu haben, würde ich schon sagen, dass das vorgeht. Ich würde aber“, fährt der Polizeimeister-Anwärter bei der Sportfördergruppe der Bundespolizei in Kienbaum fort, „nur dann in den A-Bereich wechseln, wenn es auch in Richtung Olympia geht.“
Die Weichen stellen kann er am 1./2. April bei der Langstrecke (sechs Kilometer) auf dem Elster-Saale-Kanal in Leipzig-Burghausen nebst 2000-Meter-Ergometer-Test am ersten Tag der Maßnahme – und insbesondere bei den Deutschen Kleinboot-Meisterschaften vom 14. bis 16. April auf dem Brandenburger Beetzsee.
„Da muss ich mindestens Elfter im Einer werden, um zum Doppelzweier-Ausscheid zu kommen. Mit meinem neuen Boot sollte das aber noch machbarer sein“, meint Oliver Holtz – der natürlich im Hinterkopf hat, dass er die Langstrecke Dortmund Ende 2022 auf Platz drei beendete.
Oliver Holtz an seinem brandneuen Einer „Hurricane“. So oft saß er allerdings noch gar nicht drin. Gern nimmt er uns mit in die Bootshalle, um uns seinen blassgelben, etwa 16.000 Euro teuren „Hurricane“ aus der Empacher-Werft zu zeigen: „Den habe ich seit Mitte Dezember, mitfinanziert dank der Mittel vom Landessportbund und von der Ospa. So oft saß ich aber noch gar nicht drin.“ Obwohl er erst bei zugefrorener Warnow – „solange nicht minus fünf Grad sind“ – das Wasser-Training sein lässt. Klar kommt das nach einem tropischen Wirbelsturm benannte Skiff auch am Sonnabend mit nach Orta San Giulio ins gemeinsame Trainingslager der Bundesstützpunkte Rostock/Kessin und Potsdam.
Für den zum Jahresanfang besonders strapazierten 1,90-Meter-Hünen ist es das dritte Camp in kurzer Folge. Was ihn dort u. a. gemeinsam mit Tori Schwerin (Olympischer Ruder-Club Rostock) und Maike Böttcher (Greifswalder RC Hilda 1892) – sie holten U23-WM-Bronze im Achter – sowie dem Mannheimer Simon Klüter (ORC/WM-Bronze im Leichtgewichts-Doppelvierer) erwartet, skizziert Karsten Timm: „Es geht jetzt schon mal ein bisschen mehr um wettkampfspezifische Ausprägung. In der ersten Woche werden wir ein paar mehr Strecken fahren vor allen Dingen im Einer und Zweier, haben auch ein 2000-Meter-Rennen im Sparring geplant, und in der zweiten Woche wollen wir uns mehr ums Ergo kümmern bzw. die letzten Tage vom Gas gehen, ein bisschen die Gegend genießen. Man muss auch mal den Mut zur Erholung haben, nicht immer nur bis zum Anschlag trainieren.“
Text: Peter Richter/NNN